Zusammenleben | 3 Fragen, 3 Antworten mit Prof. Dr. Michelle Jutzi
26.06.2025

Prof. Dr. Michelle Jutzi, Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation, Schwerpunkt Governance im System Schule der Pädagogischen Hochschule Bern
1. Wie hat der Austausch zu diesem Themendossier die gegenseitige Arbeit bereichert?
Der Austausch hat uns angeregt, darüber nachzudenken, welche Verbindung zwischen Zusammenarbeit und Zusammenleben besteht. Kooperation ist zielgerichtet und systematisch, wobei beide Parteien profitieren sollten. In der Forschung zur Lehrpersonenkooperation gibt es verschiedene Stufen: Austausch, Arbeitsteilung und Ko-Konstruktion. Zusammenleben hingegen hat keinen klar definierten Zweck und erfordert nicht unbedingt zielgerichtete Kooperation. Das Zusammenleben kann jedoch auch durch Normativität, wie die Erwartungen an ein gutes Zusammenleben, beeinflusst werden. Ein Beispiel ist eine Wohngemeinschaft, in der gemeinschaftliches Zusammenleben durch aufeinander abgestimmte Ziele und gegenseitiges Verständnis gefördert wird. Die Reflexion im Themendossier hat gezeigt, dass die normative Vorstellung von guter Kooperation und gutem Zusammenleben ähnlicher ist als zunächst angenommen.
2. Was ist aus deiner Sicht der spannendste Aspekt beim Zusammenleben in der Schule?
Mich beschäftigen vor allem die Konsequenzen der Normativität der Begrifflichkeiten für die Schulentwicklung: In der Schule wird ein gutes Zusammenleben angestrebt, um positive Effekte – wie Vertrauen, Partizipation oder ein Wir-Gefühl – zu erzielen. Dabei können sich allerdings die Formen des Zusammenlebens zwischen den Schulen deutlich unterscheiden.
Es kann zum Zusammenleben in der Schule A gehören, dass man sich knapp grüsst, Vornamen nicht von allen kennt und nach den Konferenzen alle rasch den Raum verlassen. In der Schule B verbringen die Lehrpersonen längere Zeit ausserhalb des Unterrichts in der Schule (z. B. zum Vorbereiten), sie pflegen einen häufigen informellen Austausch und besprechen gemeinsam Situationen oder Ereignisse aus ihrem Schulalltag.
Das sind zwei verschiedene Formen des Zusammenlebens. Aber können wir sagen, was richtig oder falsch, gut oder schlecht daran ist? Ausserdem wird anhand dieses Beispiels noch etwas Weiteres sichtbar: Das Zusammenleben ist von Kooperationsmöglichkeiten sowie der damit verbundenen Wertvorstellungen geprägt; also dem «was man macht und was nicht». Das Verhältnis von Kooperation und Zusammenleben ist daher auch im praktischen Alltag komplex und vielschichtig.
3. Was können alle einfach und konkret zu einer positiven Schulkultur beitragen?
Eine positive Schulkultur kann und darf – wie in den obigen Beispielen – je nach involvierten Personen und deren Wertvorstellungen unterschiedlich aussehen. In Bezug auf eine positive Schulkultur, sollte man sich mit folgenden Fragen bewusst auseinandersetzen: Welche Normen und Werte sind in Bezug auf das Zusammenleben in unserer Schule wichtig? Schätzt und prägt unsere Schulleitung das Zusammenleben aktiv oder nicht? Wie viele Personen kennen und vertreten genau diese Haltung zur Zusammenarbeit an unserer Schule?
Ich würde sagen, dass die Art und Weise des Zusammenlebens ein Ausdruck der Schulkultur ist und dass es wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein. Jedoch widerspiegeln solche «kulturellen Artefakte» nur einen Teil der Realität. Möchte nun eine Schulleitung die bestehende Kultur der Schule B umsetzen, dann spielen Führung und Partizipation eine zentrale Rolle. Einerseits muss die Schulleitung wissen, was ihr Zielbild ist und die Lehrpersonen eben dahin begleiten. Andererseits spielt die Beteiligung aller Lehrpersonen sowie anderen Mitarbeitenden in der Schule an diesem Prozess und die gemeinsame Aushandlung, was geleistet werden kann, eine zentrale Rolle.