Nachhaltige Lebensräume für Mensch und Tier

Lernende Basler Zoo

Perspektivenwechsel in der Mensch-Tier-Beziehung | DR. JESSICA FRANZONI

Mensch und Tier teilen sich ein gemeinsames Umfeld: die Erde mit ihren Ökosystemen. Und dies in unterschiedlicher und vielfältiger Beziehung zueinander. Dieser Text soll dazu anregen, die Mensch-Tier-Beziehung in der Schule aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und wechselseitige Abhängigkeiten zu erkennen. Das gelingt auf allen Stufen und gerade auch in der beruflichen Grundbildung.

Wir sind heute sensibler für die Frage, in welchem Verhältnis Mensch und Tier zueinander stehen, da unser Verhalten ihr langfristiges Überleben beeinflusst und damit nicht nur Folgen für die Natur, sondern auch für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Die Beziehungen von Mensch und Tier gestalten sich vielfältig: Tiere sind Gefährten (Haustiere), aber auch Ressource (Lebensmittel, Kleidung) oder Einnahmequelle (Nutztiere). Die Mensch-Tier-Beziehung befindet sich derzeit häufig im Ungleichgewicht. Nähern wir uns diesem Thema, ist es wichtig, die wirtschaftliche, ökologische und soziale Dimension zu berücksichtigen und wechselseitige Abhängigkeiten nicht zu vergessen.

Vergleich der Lebensräume: Mögliche BNE-Ansätze in der Schule

Mensch und Tier teilen denselben Lebensraum. Angesichts der heutigen ökologischen Herausforderungen (aber nicht nur deswegen) und um die aktuelle Mensch-Tier-Beziehung besser zu erfassen, sollten wir für die Analyse dieser Beziehung einen systemischen, interdisziplinären Ansatz verfolgen, der mehrere Dimensionen berücksichtigt. Je nach Perspektive, aus der Tiere in der Nachhaltigkeitsdebatte betrachtet werden, ändert sich ihre Funktion innerhalb der jeweiligen Nachhaltigkeitsdimension: Aus ökologischer Perspektive etwa werden sie gleichzeitig als einzelner Teil der natürlichen Umwelt (Wildtiere) und als allgemeines Element der Natur (Biodiversität) betrachtet. In einem pädagogisch-didaktischen Kontext kann das Thema vertieft werden, indem die unterschiedlichen Zusammenhänge zwischen dem Leben des Menschen und dem der Tiere dargestellt werden: Wo überlappen sie sich, wo beeinflussen sie sich gegenseitig? So erkenne ich Handlungsspielräume und Widersprüche, kann die Perspektive wechseln und meine eigene Denkweise weiterentwickeln. Die systemische Darstellung der Mensch-Tier-Beziehung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie zeigt mehrere Ausgangspunkte auf, die im Unterricht aufgegriffen und vertieft werden können. So können mittels mehrperspektivischen Ansätzen Elemente (Informationen, Fakten, Meinungen) verglichen, Zusammenhänge erkannt oder Beziehungen (Folgen, nicht lineare Interaktionen) zwischen ökologischen und sozialen Phänomenen verstanden werden. BNE-Fragen werden je nach Thema eingeführt und dienen als Anregung für den Unterricht oder können für Diskussionen, Rollenspiele und Debatten genutzt werden.

Solche BNE-Fragen können sein:

  • Wie wollen wir in Zukunft mit dem gemeinsamen natürlichen Umfeld (der Erde mit ihren Ökosystemen) umgehen?
  • Wie können wir unsere Freizeit so gestalten, dass es Tieren und Menschen dabei gut geht?
  • Wie gehen wir Konflikte und Wettbewerbssituationen zwischen Mensch und Tier an?

Alle Schülerinnen und Schüler haben Berührungspunkte mit dem Thema und können auf ihre bisherigen Erfahrungen zurückgreifen, um eine Antwort auf diese und weitere Fragen zu finden. Dies liefert eine Grundlage für einen vertieften Diskurs, der für die BNE relevant ist und auch Werte, Rechte und Gefühle berücksichtigt.

Viel gelernt wird an ausserschulischen Lernorten

All dies findet sich wieder im Lehrplan 21 – immer aus einer ökologischen Perspektive. Wichtig ist es, tierische Ökosysteme analysieren zu können (NT 9.1 und 9.2) und die Wechselwirkungen innerhalb der Lebensräume zu verstehen (NMG 2.1 und NMG 8.2). Dazu zählt auch das Wissen, wann menschliches Handeln grosse Auswirkungen auf natürliche Systeme haben kann (oder hat): Man denke vor allem an die Folgen unseres täglichen Konsums (WAH 3.2). Wie bewahren wir also Tiere, Pflanzen und Lebensräume und vermeiden negative Folgen für die Umwelt? Und wie sind diese Auswirkungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu bewerten (NMG 2.6)? Um dies zu vertiefen, ist es nicht zwingend notwendig, dass die Schülerinnen und Schüler in der Klasse bleiben. Anregende Diskussionen können vielmehr auch im Schulhof oder an ausserschulischen Lernorten wie dem Zoo oder im Wald stattfinden. Zum Beispiel können die Schülerinnen und Schüler eine Wiese oder einen Wald erforschen und erkunden, wie Insekten oder Pflanzenfresser leben und wie der Mensch zu ihrem Wohlbefinden beitragen kann (oder umgekehrt). Das kann auch spielerisch in der Rolle von «Detektiven» erfolgen (siehe Links zu den Bildungsaktivitäten «Wiesendetektive» und «Das Biotop entdecken» am Ende des Textes). Oder im Zoo, wo sich die Schülerinnen und Schüler parallel zu den biologischen und ökologischen Erkundungen dem ethisch-moralischen Aspekt des Alltags von Tieren in Gefangenschaft widmen können. So erkunden sie nicht nur die unterschiedliche (oder ähnliche) Nutzung von Lebensräumen durch Mensch und Tier, vergleichen und bewerten, sondern machen sich auch mit der Umwelt und den (wirtschaftlichen und sozialen) Interessen des Menschen unmittelbar vertraut.

Berufe mit Tieren

Die Komplexität der Mensch-Tier-Beziehung erschöpft sich damit nicht – auch nicht in der Schule. Welche Fragen könnte man diskutieren, wenn man Ausbildungsstudiengänge und Lehrberufe mit Tieren berücksichtigt, die Schülerinnen und Schüler ergriffen haben oder ergreifen wollen? Tierpfleger/in, Tierzüchter/in oder Landwirt/in sind nur einige Beispiele für Berufe, die mit Tieren zu tun haben. Wo könnte es, vom Standpunkt der Nachhaltigkeit (BNE) aus betrachtet, Konflikte, Probleme, aber auch Chancen und Handlungsspielräume geben? Was geschieht, wenn ein Tier seinen natürlichen Lebensraum verliert und in einem Zoo lebt? Welchen Einfluss hat der Schutz seines Lebensraums auf denjenigen, der sich um es kümmert (im Fall des Tierpflegers oder der Landwirtin)? Wie ist es möglich, in einem derartigen Kontext – der häufig aus dem Gleichgewicht geraten ist – eine nachhaltige Situation und zugleich das Wohlergehen von Mensch und Tier sicherzustellen? Ein Perspektivenwechsel – weniger anthropozentrisch und dafür mehr auf Nachhaltigkeit fokussiert, also «ökozentrisch» –, der das Wohlergehen des gesamten Planeten Erde (Mensch, Tier und Umwelt) in den Mittelpunkt stellt, würde es wohl ermöglichen, unsere Beziehung zu Tieren und zu der Umwelt, in der wir leben, wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Literatur:
-  Bossert, L. N. (2022), Gemeinsame Zukunft für Mensch und Tier. Tiere in der Nachhaltigen Entwicklung, Baden-Baden, éditions Karl Alber.
Wiesendetektive
https://www.education21.ch/de/lm/tiere-menschen-lebensraeume
Das Biotop entdecken
– Querblicke, « Zoo », Heft 9, Ingold Verlag, 2022