BNE, Gegenmittel gegen den verschwenderischen Markt


Marco Geronimi Stoll durante l'intervista presso éducation21 a Bellinzona

Für Marco Geronimi Stoll muss Bildung unbedingt nachhaltig sein. Der Gründer des Netzwerks smarketing.it und ehemaliger Werbefachmann erläutert im Interview mit éducation21, dass durch die Vermittlung von BNE-Kompetenzen Lehrpersonen einen verantwortungsvollen, reflektierten Konsum der auf dem Markt verfügbaren Produkte fördern können, und ebenso eine kritische Auseinandersetzung mit Werbung.

Auf welchen Werten beruhen unsere Kaufentscheidungen?

Auf schwachen Werten! Unsere Kühl- und Küchenschränke quellen über vor Lebensmitteln, die wir nicht essen und schliesslich wegwerfen: Welch ein Material- und Energieverschleiss! Wieso haben wir sie dann gekauft? Es liegt nicht am Wert der Dinge, sondern am Unwertgefühl des Käufers. Die Werbebranche weiss, dass ein glücklicher Mensch nicht viel braucht. Deshalb versucht sie, uns unzufrieden zu machen: Sie suggeriert uns, wir seien zu wenig jung, schön, sportlich, sexy, charismatisch. Kaufen tröstet uns, wenn wir eine gewisse Leere empfinden.

Was wir kaufen, ist der «Brand», ein immaterielles Gut; 
das Produkt selbst ist kaum noch von Belang.

Früher war der Händler ein Kulturvermittler, von dem wir Wissenswertes zur Qualität eines Produkts erfuhren. Heute kennen wir den Wert von konsumierten Waren nicht mehr: Die Werber erschaffen einen sogenannten «Brand», die «künstliche Persönlichkeit» einer Marke. Was wir kaufen, ist der «Brand», ein immaterielles Gut; das Produkt selbst ist kaum noch von Belang.

Im Marketing wurde früher häufig mit der Zurschaustellung von Statussymbolen gearbeitet. Das funktioniert heute weniger. Nun beachten wir die Likes in den sozialen Medien und werden zu unbeholfenen Selbstvermarktern. Wir als Konsumenten werden selbst zum «Brand», zur Ware. Im Supermarkt stellen wir uns in diesem Kleidungsstück oder beim Essen jenes Gerichts vor: Wir
kaufen ein «potenzielles Ich». Wir geniessen es, ein Produkt aus dem Regal zu nehmen und in den Einkaufswagen zu legen, denn letztlich sind wir immer noch Jäger und Sammler. An der Kasse ist das Vergnügen schon geringer und beim Auspacken zu Hause ist die Ware nur noch etwas, das Platz wegnimmt.

Die Werbung beeinflusst unsere Entscheidungen, formt unsere Erwartungen: Sind wir uns der Mechanismen bewusst, die hier wirken?

Wir alle glauben, Werbung beeinflusse uns nicht. Doch zu fast allen Kaufentscheidungen werden wir verleitet. Die Werbung funktioniert also, ohne dass wir es merken. Im Internet und in den sozialen Medien werden zum Beispiel akribisch Informationen über mich gesammelt, um mir Interessantes anzubieten.

Im Quartierladen kaufe ich einfach Brot, Bohnen und zwei Äpfel. Im Supermarkt nehme ich zehnmal so viel mit, weil ich von der Markenwerbung im Fernsehen beeinflusst bin. Online kaufe ich zwanzigmal mehr, da mich Botschaften verführen, die genau auf mich zugeschnitten sind. Alles in allem gebe ich im Quartierladen viel weniger aus, weil ich nur kaufe, was ich brauche. Der einzelne Apfel kostet zwar das Doppelte, ist aber besser: Sein Preis deckt die Arbeit des Händlers und des Bauern, während ich bei Markenprodukten eine versteckte Gebühr von 20 bis 50 Prozent für das Marketing bezahle.

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