Wie können Lehrpersonen Kulturangebote gezielt mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung verbinden?
27.05.2025

Einblick in das Angebot «Afrikafeeling pur!», © Durangodance.ch

Der Zugang zu Kultur eröffnet in der pädagogischen Praxis Chancen: Er fördert Teilhabe und Wertebildung, ausgehend von konkreten Themen stärkt er diverse Kompetenzen. Genau hier setzt auch Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) an. Wo Kultur und BNE aufeinandertreffen, entstehen fruchtbare Lernprozesse und wechselseitige Impulse. Wie können Lehrpersonen und Kulturverantwortliche diese Verbindung bewusst und konkret gestalten? éducation21 gibt praxisnahe Tipps. 

Vom Kulturangebot zum BNE-Unterricht 

Emma ist Lehrerin und hat seit drei Jahren an ihrer Schule eine Sonderaufgabe inne. Als Fachperson ist sie für Kulturvermittlung zuständig; in dieser Funktion organisiert sie Exkursionen und berät ihre Kolleginnen und Kollegen. Im Laufe der Zeit hat sie erkannt, dass die mannigfaltigen Kulturangebote BNE-Kompetenzen wie Perspektivenwechsel, systemisches Denken und Empathie fördern. Jetzt plant sie mit ihrer Klasse das Angebot «Afrikafeeling pur!» (Afrikafeeling pur! - Kanton Aargau) und möchte es explizit mit BNE verbinden. Das BNE-Rezept für Lehrpersonen von éducation21 leitet sie dabei an.   

Das Kulturangebot mit einer übergeordneten BNE-Leitfrage verbinden 

Eine problematisierende BNE-Leitfrage verleiht dem Unterricht sowie der Einbindung des Kulturangebots eine klare Orientierung. Eine BNE-Leitfrage geht von Begriffen wie «gut», «gerecht» oder «schön» aus und lädt alle, Kinder wie Lehrpersonen, ein, diese partizipativ, dialogisch und mit Hilfe von Visionen einer wünschenswerten Zukunft zu beantworten. Bezüglich «Afrikafeeling pur!» kommen Emma folgende Fragen in den Sinn: «Was macht einen ‘schönen’ Tanz aus?», «Verbindet Musik Menschen aus verschiedenen Kulturen?», und «Was ist nötig, um sich auch in der Fremde ‘wohl’ zu fühlen?», 

Unabhängig davon, welche Frage Emma schlussendlich wählt, steht fest: Um eine Frage, zu beantworten, brauchen die Schülerinnen und Schüler vielfältiges und vertieftes Wissen. Dieses gilt es aufzubauen und so den Besuch bei der Tanzgruppe vorzubereiten. Zugleich informiert Emma die Kulturschaffenden über die Leitfrage und bittet sie, auf diese in irgendeiner Art und Weise einzugehen. Damit lässt sich das Kulturangebot im Unterricht einbetten und über ein anregendes Ereignis eine bleibende Wirkung entfalten. 

Die BNE-Frage mit den fünf Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung beleuchten 

Die sozialen, ökologischen, ökonomischen, zeitlichen und räumlichen Ebenen der nachhaltigen Entwicklung kommen an dieser Stelle ins Spiel. Die In-Bezug-Setzung mit der BNE-Leitfrage ermöglicht einen systemischen Zugang und mobilisiert Wissen aus verschiedenen Disziplinen. Bei «Afrikafeeling pur!» entscheidet sich Emma ausgehend von der BNE-Frage «Was ist nötig, um sich auch in der Fremde ‘wohl’ zu fühlen?» für das Thema «Migration».   

Unter den fünf genannten Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung arbeiten Emma und ihre Schülerinnen und Schüler die Bezüge heraus: Migration hängt mit Klimawandel, geopolitischen Konflikten, sozioökonomischen Ungleichheiten aber auch fortschreitender Globalisierung zusammen. Je nach Interesse der Schülerinnen und Schüler werden Teilaspekte erforscht und die Verflechtung der Dimensionen beleuchtet. Im Zentrum steht auch das kulturelle Gut der Migrierten und sein Stellenwert für ihr Wohlbefinden in der Fremde. 

Das BNE- und Kulturgemeinsame Thema mit Inter- und Transdisziplinarität vertiefen   

Die Einordnung der Leitfrage in die Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung führt zur Interdisziplinarität. Entsprechend ordnet Emma das Kulturangebot in ihre Schulfach- oder Fächer ein. Laut Lehrplan21 lässt sich Migration im 1. und 2. Zyklus mit NMG verbinden; im 3. Zyklus mit RZG und ERG. Emma zieht auch weitere Fächer heran: z.B. die Mathematik, um Grafiken zu Beweggründen von Migration zu verstehen, oder Bildnerisches Gestalten, um Emotionen, die durch Migrationsberichte aufkommen, auszudrücken.  

Mit einem transdisziplinären Ansatz (Integration von Wissen aus verschiedenen Quellen, auch Laienwissen) untersuchen die Kinder eigene Familiengeschichten. Darauf aufbauend bereiten sie den geplanten Austausch mit den Künstlern zu ihrem Heimatland und ihrem Leben in der Schweiz differenziert vor. Sie vertiefen so ihr Verständnis von Heimat, Migration, vom Gehen und Ankommen. Ihre Erkenntnisse nutzen wiederum der (Teil)-Beantwortung der BNE-Leitfrage. In den Diskussionen in den Klassen treffen das angeeignete Wissen mit persönlichen Werten aufeinander und ermöglicht es darüber nachzudenken, was wertvoll ist und zählt - sogenannte ethische Fragen.  

Die Erkenntnisse rund um «Wohlfühlen» mit Partizipationsmöglichkeiten konkretisieren 

Partizipation wird in der BNE grossgeschrieben: sie ist ein Kinderrecht, sie bereitet die Schülerinnen und Schüler auf ihr Leben als aktive Bürger und Bürgerinnen vor, und sie ist für nachhaltige Entwicklung unabdingbar. Anhand der Erkenntnisse der Schülerinnen und Schüler rund um Migration, Heimat, Anerkennung, Vielfalt und Wohlfühlen bricht Emma diese Themen auf die Klasse, bzw. die Schule herunter. So bleibt sie eng an der Lebenswelt der Kinder. Konkret heisst es: Wie gehen wir mit unseren unterschiedlichen Bedürfnissen um? Wie gestalten wir Gruppenarbeiten, die Pause, die Klassenreise? Wie möchten wir unsere Schule in der Zukunft gestalten? 

Da wo Schülerinnen und Schüler partizipieren können (selbstverständlich nicht bei jedem Anliegen), gibt ihnen Emma die Gelegenheit, Kompetenzen wie Kommunikation und Kollaboration zu entwickeln. Durch aktive Partizipation denken die Schülerinnen und Schüler über Regeln und Entscheidungen nach, die ihr Zusammenleben betreffen - sogenannte politische Fragen. Schritt für Schritt suchen und entwickeln die sie kontextbezogene Lösungsansätze und stärken gleichzeitig ihre Selbstwirksamkeit und Lernmotivation. 

Kultur trifft BNE – mit Gewinn für alle 

Emma wagte sich zum ersten Mal an die gezielte Verknüpfung von Kulturvermittlung und BNE – und war überrascht: Mit überschaubarem Aufwand gelang es ihr, ihre Schülerinnen und Schüler zu begeistern und ihre Gedankenwelt zu aktivieren. Geschickt mit BNE verknüpft bieten kulturelle Angebote wie Theater, Museen oder Konzerte weit mehr als Abwechslung: Sie stärken Persönlichkeit, Wertehaltung und BNE-Kompetenzen. Wenn Kultur nicht als «Zusatz», sondern als Teil eines iterativen Lernprozesses verstanden wird, entsteht Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler und die Lehrperson. 

Lust auf mehr? Hier geht es zu konkreten Angeboten von éducation21:   

Themendossier Migration: Gehen oder bleiben? 
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